Stabilität in der Krise

Anforderungen der Wirtschaft an das Bildungssystem in Zeiten von Pandemie und Rezession

Die durch Covid-19 ausgelöste Krise hat die Wirtschaft hart getroffen. Es herrscht große Verunsicherung, welche langfristigen Auswirkungen dies auf die Struktur der Wirtschaft und damit auf die Anforderungen an das Bildungssystem haben wird. Dabei wird es notwendig sein, sich weder von negativen Stressszenarien noch von unrealistischen Utopien leiten zu lassen. Gerade in Zeiten der Unsicherheit ist es wichtig, jene Basis herauszuschälen, die allen Schwankungen zum Trotz den stabilen Unterbau weiterhin bilden wird.

Für den Wirtschaftsstandort Österreich ist jedenfalls von folgenden Prämissen auszugehen:

  • Der Kern des Erfolgs bildet auch künftig die klare Positionierung als innovationsgetriebene Wissensökonomie (=> fokussierte Qualität)
  • Der produzierende Sektor wird gemeinsam mit technologischen und wissenschaftlichen Dienstleistungen das tragende Skelett bilden
  • Die internationale Ausrichtung bleibt die Versicherungspolizze für den Wohlstand
  • Die Digitalisierung etabliert sich als ein zentrales Werkzeug aller Sektoren, wird aber im Bereich des Wissenstransfer Grenzen erleben
  • Der Umbau im Energie- und Mobilitätssektor (carbon free) wird sich kaum verzögern
  • Die Tourismus-, Kultur- und Freizeitwirtschaft im umfassenden Sinn wird von quantitativen auf qualitative Angebote umschwenken müssen und damit einen heftigen Strukturwandel erleben

Daraus sind für den Bildungssektor klare Anforderungen ebenfalls in Richtung „fokussierte Qualität“ abzuleiten:

  • Eine gesicherte Basis an klassischen Grundfertigkeiten bleibt notwendiger denn je. Der Beitrag der Primarstufe und der Sekundarstufe 1 wird kritischer hinterfragt werden.
  • Pflichtschulabschluss ist zu wenig, es müssen weitere (Aus-)Bildungsschritte erfolgen.
  • Die Beherrschung digitaler Werkzeuge wird selbstverständlich. Dazu wird verstärkt Softwarekompetenz notwendig sein, das heißt auch Programmierung und das Verstehen der Algorithmen dahinter.
  • Die große Bedeutung der MINT-Fächer auf unterschiedlichen Bildungsebenen wird nicht nachlassen, der Anteil von AbsolventInnen muss erheblich gesteigert werden.
  • Ein breiteres Bildungsspektrum muss in den jungen Menschen verankert sein (implizit, ohne Hilfsmittel abrufbar). Dies ist eine notwendige Voraussetzung für kritische Reflexion, innovatives Denken und strategische Planung (2 von 4 K‘s: K-ritisches Denken und K-reativität)
  • K-ollaboration und K-ommunikation, die beiden anderen K’s, benötigen Sozialkompetenzen, die nur über direkte humane Interaktion erlernt werden können (face to face).
  • Die 4 K‘s müssen durch 2 E’s ergänzt werden: E-igenverantwortung und E-igeninitiative

Insgesamt werden die Herausforderungen durch die Krisenzeit unsere bildungspolitischen Antworten schärfer, präziser und qualitativer werden lassen müssen. Die Zeit nach der Krise wird uns nur noch wenig Spielraum für (politische) Experimente mit hohen Streuverlusten lassen. Dafür sind weder Zeit noch Geld vorhanden. Dies wird insbesondere in Österreich eine hohe Verantwortung für das politische System bedeuten, das das ideologische Spielfeld dramatisch wird einengen müssen. Es ist heute noch nicht sicher, ob Europa den Spagat zwischen ökonomischer Krise, ausufernden Haushalten und verstärkter internationaler Konkurrenz (Ostasien) in seiner heutigen Form langfristig schaffen wird. Die Bildung wäre zumindest ein Feld das – richtig bearbeitet – Grund zum Optimismus geben sollte.

Thomas Krautzer, Univ.-Prof. Mag. Dr., Jg. 1965, Studium der Geschichte und Germanistik in Graz, bis 1992 Univ. Ass., dann Industriellenvereinigung Steiermark, 2000-2016 Geschäftsführer der IV-Steiermark, seit 2017 Professur für wirtschaftliche Standortfragen an der Universität Graz, Leitung des Instituts für Wirtschafts- Sozial- und Unternehmensgeschichte.